Wächter der Insel


Sperrmüll, Elektroschrott oder Müllsäcke türmen sich in Vaterstetten, außer da, wo sie hingehören – in die Container. Unterwegs mit einem Mülldetektiv.

Vaterstetten – Walter Fortmühler verschränkt die Arme vor der Brust und schaut sich zwischen den Müllcontainern um. „Ich fühl’ mich schon zu den Guten“, sagt er. Er steht auf einer Wertstoffinsel, begrenzt von einem Bauzaun – daran ein Schild: „Bitte halten Sie diese Wertstoffsammelstelle und Ihre Umwelt sauber. Ablagerungen vor oder neben den Containern sind strengstens untersagt! Das Entsorgen ist an Werktagen in der Zeit von 7 Uhr bis 20 Uhr erlaubt.“

Manchmal werden all diese Regeln gebrochen, manchmal nur eine. Deshalb gibt es Walter Fortmühler. Als Mülldetektiv überwacht er für die Gemeinde Vaterstetten die Wertstoffinsel und berichtet, welche Personen dort illegal Müll entsorgen – also wer ein Müllsünder ist, wie sie Fortmühler nennt. 

Viele Städte und Gemeinden haben Müllsündern den Kampf angesagt. Alte Möbel, aussortierte Küchengeräte oder Müllsäcke türmen sich überall, außer da, wo sie eigentlich hingehören – in die Container. Dass die Detektei Walter Fortmühler in Bayern aushelfen kann, hat sich herumgesprochen: Als Mülldetektiv arbeitet er auch in den umliegenden Orten Ebersberg, Erding und Poing. 

Walter Fortmühler versteckt sich nicht. Seinen geräumigen Firmenwagen hat er an die Wertstoffinsel herangerollt und direkt am Feldrand geparkt. So hat er einen guten Überblick, sollte sich ein Müllsünder auf der Wertstoffinsel blicken lassen. Die Insel liegt am Ortsrand zwischen einem Acker und einem Gartencenter. Auf der Landstraße rauschen Autos vorbei. 

Es ist ein trüber Samstagnachmittag, 14 Uhr. Noch ist es den Bürgern von Vaterstetten erlaubt, Müll auf der Insel zu entsorgen. Im Halbkreis reihen sich Container für Altglas, Leichtverpackungen, Klamotten und Pappe aneinander. Ein Auto fährt vor, ein Mann mit Plastiktüte in der Hand steigt aus und schlägt seine Autotür zu. 

Walter Fortmühler beobachtet: Braucht der Mann eine Hand oder zwei Hände? „Wenn die recht schwer tragen und es sollte Hausmüll sein, dann stimmt wahrscheinlich irgendwas nicht.“ Wenn etwas nicht stimmt, merkt er sich, wo der Beutel entsorgt wurde, und schaut später, was drin ist. Aber der Mann wirft den Sack einhändig in den Container. 

Manche entsorgen Briefe samt Namen und Adresse, da freut sich der Detektiv.

Als der Platz wieder leer ist, schnappt sich Fortmühler die Kamera aus der Mittelkonsole. Er lässt sie in der Jackentasche verschwinden und schwingt sich aus dem Auto: Bevor er den Container ansteuert, streift er sich Einweghandshuhe über. Abgesehen davon trägt der 69-Jährige weder Blaumann noch Funktionsjacke, sondern Jeans, Sneaker und einen Mantel, in dem er meist die Hände vergraben hat – wie ein Detektiv eben. Der fein säuberlich rasierte Bart ist gräulich, Markus Söder habe ihm den nachgemacht, scherzt er später. 

Immer noch ist niemand zu sehen, ein starker Wind weht über das Feld und pustet Kassenbons durch die Gegend. Auf dem fest getrampelten Boden vor dem Plastikcontainer liegen ein paar Pommes. Nichts was Fortmühler interessiert – es fehlen die Hinweise, wer der Übeltäter gewesen sein könnte. Eine Reihe weiter stehen die Altglascontainer, vor dem Grünglas liegen zwei Müllsäcke.

Das Problem: Sobald der Wind weht, werden Tüten samt Inhalt über den Acker, rüber zum Gartencenter geweht, erklärt Fortmühler. Vorsichtig öffnet er einen zugeschnürten blauen Sack und schaut hinein. Drinnen liegen gekochte Nudeln, Verpackungen. Gleich zwei Müllsünden: keine Mülltrennnung und ein Sack außerhalb des Containers. „Das bringt alles nix, wenn ich keinen Namen habe“, sagt Fortmühler und schnürt den Sack wieder zu. Der nächste Sack ist durchsichtig, er öffnet ihn nicht, sondern betastet ihn mit seinen Gummihandschuhen, schiebt den Inhalt hin und her. „Briefe, Briefe sind immer gut“, murmelt der Detektiv nun, findet aber nur Kartoffeln und leere Zigarettenpackungen. 

Dann dreht er sich um und öffnet einen weiteren Sack, der am Kunststoffcontainer lehnt. Er fischt einen Stapel Papier heraus. Leere Briefumschläge, Werbung, „sowas ist immer gut“, Fortmühler klappt das gefaltete Papier auseinander. Auf dem ersten steht kein Name. Er zieht ein weiteres Blatt aus dem aufgerissenen Briefumschlag „da ham ma was“: Ein Brief von der Targobank, samt Namen und Adresse. Er zückt die Kamera aus der Tasche und fotografiert die Daten des Müllsünders. 

Die Datenschutzauflagen sind streng. Sobald er das Foto mit den Daten des Müllsünders an die Gemeinde gesendet hat, muss er den Beweis wieder löschen. Seine Arbeit ist damit getan. Die Gemeinde ermittelt, die Müllsünder finden nach ein paar Wochen einen Brief in der Post. Meistens liegen die Bußgelder zwischen 20 und 60 Euro. 

So beginnen die meisten Tage, wenn Fortmühler auf Wertstoffinseln nach dem Rechten sieht. Zuerst verschafft er sich einen Überblick: Wie ist der Status quo auf der Insel, welche Vorgehen kann er dokumentieren und an die Gemeinde weiterleiten? Dann legt er sich auf die Lauer, sitzt im Auto, die Kamera griffbereit und beobachtet das Treiben auf dem Platz.

Er habe immer das gemacht, was ihm Spaß bereitet. Er sei zweimal Klassensprecher gewesen, Präsident beim Lions-Club Aschheim Herzog Tassilo III., CSU-Mitglied. Über seine Arbeit als Feldjäger bei der Bundeswehr sei er im Sicherheitsdienst gelandet. Bei den Feldjägern habe er die „unerlaubt Abwesenden“ in Zivil gesucht. Ist das Verpetzen? Eher Jagdinstinkt, sagt Fortmühler. In seiner Detektei arbeitet er mit vier weiteren Kolleginnen und Kollegen zusammen. Sind alle fünf unterwegs, nennt er das „Großkampftag“. 

Bezahlt wird Fortmühler über die Abfallgebühren der Gemeinde Vaterstetten. Laut der Gemeinde ist das im Monat ein „unterer vierstelliger Betrag“. 2024 hat Vaterstetten gemeinsam mit der Detektei 193 Müllsünden geahndet und 7000 Euro durch Bußgelder eingenommen. Städte wie Nürnberg setzen jetzt auf Videoüberwachung. Walter Fortmühler sieht darin keine Konkurrenz: toter Winkel, Datenschutz, 24 Stunden vor einem Bildschirm sitzen, „die werden sehen, das ist nicht das Gelbe vom Ei“ prophezeit er. 

Allmählich füllt sich die Müllinsel. Fortmühler beobachtet das Geschehen durch die Windschutzscheibe. Eine Frau will einen Karton in die Öffnung des Papiercontainers schieben. Es will nicht so recht klappen. Die Öffnung ist zu klein, der Karton zu groß. Fortmühler lacht: „Wie kann ich nicht darauf kommen, den Kartoon zu zerreißen?“ Jetzt stampft die Frau mit ihren Füßen auf den Karton ein, es klappt schließlich doch. 

Aber Fortmühler ist schon abgelenkt. Ein weiterer Wagen steuert auf die Insel zu, eine Frau steigt aus, in ihren Händen hat sie mehrere Beutel und Pappe – sie läuft Richtung Leichtverpackungscontainern. „Was ist denn das? Hat die Kartonage?“, ruft er, schnappt sich die Kamera und rennt aus dem Auto. Mittig auf dem Platz wird er langsamer, bloß nicht zu viel Aufmerksamkeit erregen. Wieder einmal steckt er die Hände in die Manteltaschen und schleicht in den Schatten des Papiercontainers. Von dort aus beobachtet er die potenzielle Müllsünderin. Sie hält jedoch die vorgesehene Müllordnung ein. Fortmühler wartet, bis der Wagen von der Insel fährt, und setzt sich dann wieder zurück ins Auto. Im Seitenspiegel beobachtet er nun weiter, wer sich von hinten über den Feldweg nähert. 


Manche Betriebe umgehen den Wertstoffhof und die Gebühren dort

Einige Autos fahren nach und nach auf den Platz. Bei einem weißen Transporter macht er vorsorglich gleich ein Foto vom Kennzeichen. Der könnte gewerblich sein. Unternehmen, die hier abladen, tun das immer illegal, eigentlich müssten sie ein paar Meter weiter zum größeren Wertstoffhof fahren. Zwei Personen steigen aus, öffnen die Flügeltüren und entsorgen zwei kleine Tüten – ordnungsgemäß. Einmal, 2022, hat Fortmühler auf einer Wertstoffinsel in der benachbarten Gemeinde Poing Holz, Dämmmaterial, Schrauben und Heizöl im Verpackungsmüll gefunden. Daraufhin musste ein Unternehmen 1400 Euro Strafe zahlen. Einer seiner größten Erfolge. 

Selten spricht Fortmühler die Menschen tatsächlich an, schließlich soll er nur dokumentieren. Manchmal macht er es dann aber trotzdem. Das sei dann fast schon ein „Erziehungsauftrag“. Googelt man „Mülldetektiv Vaterstetten“ erscheint ein Artikel „Zwölf Minuten zu spät am Container: Einwurf-Sünder attackiert Mülldeketiv“ – Walter Fortmühler will da nicht drüber reden. 

Lieber erzählt er von Begegnungen wie diesen: Einmal stand er an einem Sonntag auf dem Platz,  mit der Kamera in der Hand, und beobachtete, wie jemand vor seinen Augen eine große Tüte wegwarf. Dann habe er gesagt „Lesen Sie“ und auf das Schild am Zaun gedeutet, „es ist heute verboten“. Und dann habe sich der Mann einsichtig gezeigt, die Tüte wieder aus dem Container gezogen, das Gespräch sei ein nettes gewesen und er habe das Foto wieder gelöscht. 

Gemeldet hat er das am nächsten Tag dann trotzdem, dass er ein Auge zugedrückt hat – nicht, dass es später heißt, Bestechung. 

Text: Jana Laborenz

Quelle: Süddeutsche Zeitung, Ausgabe vom 27. Mai 2025